Kino von unten ... Leslie Franke im Gespräch (SB)

Schattenblick - Filmkultur sozial bewegt Interview in Hamburg-Rotherbaum am 7. September 2016
Leslie Franke ist Dokumentarfilmerin und lebt in Hamburg. Gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Herdolor Lorenz [1] hat sie mehrere Filme gedreht, die sich kritisch mit der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus, den sozialen Folgen der neoliberalen Marktwirtschaft und sozialökologischen Problemen, die bei der Privatisierung der lebenswichtigen Ressource Wasser entstehen, auseinandersetzen. Am Rande einer Veranstaltung der Gewerkschaftslinken Hamburg, bei der eine Delegation von Eisenbahngewerkschaftern aus Japan über ihre Arbeitskämpfe vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima berichtete [2], beantwortete Leslie Franke dem Schattenblick einige Fragen zu ihren bisherigen Produktionen und der besonderen Art und Weise, wie die beiden Filmemacher ihr Medium dazu nutzen, das Publikum aktiv am Zustandekommen und der Verbreitung politisch wichtiger Aufklärung zu beteiligen und so in Bewegung zu bringen.

Schattenblick (SB): Euer neues in Arbeit befindliche Filmprojekt heißt "Der marktgerechte Mensch". Worum geht es dabei?

Leslie Franke (LF): Das Filmprojekt beschäftigt sich mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Angefangen hat diese Entwicklung hauptsächlich mit der Schröder-Regierung und der Einführung von Leiharbeit, Werkverträgen, unbefristeter Arbeit usw. Im gleichen Zuge wurden alle Arbeitsschutzrichtlinien und -standards weitgehend zusammengestrichen. Unser Thema ist im Prinzip: Welche Ursachen hat diese Entwicklung, wie war sie durchzusetzen, was macht sie mit den Menschen und der Gesellschaft?

SB: Welches Konzept steckt hinter eurem Film, basiert es vor allem auf Interviews oder geht es mehr um die Chronologie der staatlichen Maßnahmen?

LF: Wir haben verschiedene Bereiche im Blick, aber den Drehplan machen wir erst jetzt. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit der Gesundheitsreform und dem Pflegenotstand. So tritt im Film zum Beispiel ein Trucker auf, um die Frage zu beleuchten, was die Öffnung der Grenzen und der Abbau der arbeitsrechtlichen Standards, die in Brüssel verfügt wurden, für die Fernfahrer und ihre Arbeit bedeutet. Zu den verschiedenen Arbeitsfeldern, die wir untersuchen wollen, gehören unter anderem die Leih- und Werk-, aber auch die Internetarbeit, wo zumeist jungen Leuten versprochen wird, sie seien frei in ihrer Arbeitseinteilung.

Letztendlich ist es jedoch eine Form von Sklavenarbeit, weil man nur auf Abruf angestellt wird und den Arbeitsvertrag, sofern man überhaupt einen bekommt, mit dem jeweiligen Arbeitgeber individuell abstimmen muß. Dabei herauszuarbeiten, daß die Arbeitsmarktderegulierung den Menschen total in die Vereinzelung treibt, ist uns ganz besonders wichtig, weil so jede Form von Solidarität unmöglich gemacht wird und jeder gezwungen ist, nur noch für sich allein zu kämpfen. So hat die französische Regierung ein Arbeitsgesetz durchgebracht, dessen zentraler Punkt darin besteht, daß jeder einzelne mit seinem Arbeitgeber die Bedingungen seiner Arbeit aushandelt. Das wirft uns, ich würde sagen, in frühindustrielle Verhältnisse und damit um Jahrhunderte zurück und hebt all das, was seitdem erkämpft worden ist, mit einem Federstrich wieder auf.

Wir wollen damit keineswegs sagen, daß früher alles besser war. Die Arbeitsbedingungen haben sich verändert, und natürlich muß man darüber nachdenken, wie man mit dieser Veränderung umgehen kann. Aber einen Arbeitsschutz muß es weiterhin geben, sowohl auf dem Arbeitsplatz als auch hinsichtlich der Verträge und der sozialen Absicherung durch die Rente. Denn eine Arbeit auf Honorarbasis provoziert eine unheimliche Arbeitsarmut. Es ist schon jetzt abzusehen, worauf das Ganze hinausläuft. An der Art und Weise, wie im Zuge der Finanzkrise praktisch alle sozialen Standards ausgehebelt wurden und den südlichen Staaten eine Austeritätspolitik aufgezwungen worden ist, kann man leicht erkennen, was passiert, wenn diese Bestimmungen aus den Angeln gehoben werden. Nachdem dieses neoliberale Modell in der Hauptsache bei uns in Deutschland unter Gerhard Schröder eingeführt wurde, wird jetzt versucht, es für ganz Europa festzuschreiben.

SB: Ihr greift im Grunde ein klassisches Thema der Linken auf, die das Verhältnis von Kapital und Arbeit in seiner grundlegenden Widersprüchlichkeit allerdings nur noch randläufig behandelt. Welche persönliche Motivation hattest du, dich diesem nicht unbedingt wohlgelittenen Thema zuzuwenden?

LF: Dennoch ist es total populär, weil es uns allen auf den Fingern brennt. Amazon ist natürlich exemplarisch für diese Entwicklung, aber es gibt um uns herum verschiedene andere Beispiele, wo die Leute um Sicherheit ringen, aber nur Verträge für drei oder sechs Monate, vielleicht mal für ein Jahr kriegen und nicht wissen, wie es mit ihnen hinterher weitergeht. Auch im Schulwesen gibt es mehr und mehr befristete Lehrer, die in den Sommerferien freigestellt werden und nicht wissen, ob sie im September wieder angestellt werden, und das, obwohl sie dringend gebraucht werden. Darauf den Blick zu richten, was es mit den Menschen macht, wenn sie nicht wissen, wovon sie morgen oder übermorgen leben sollen, ist meine persönliche Motivation, denn daß der Mensch sich ernähren können muß, ist etwas Grundlegendes.

So wie ich es sehe, gebiert dieser haltlose Zustand den ganzen Auswuchs an Angst in der Gesellschaft vor den Fremden. Jahrzehntelang konnte man in der Bundesrepublik ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit in Anspruch nehmen, doch dies fällt seit einiger Zeit in sich zusammen. Die Leute merken es nun und bekommen Angst, daß ihnen das, was von diesen Sicherheiten geblieben ist, auch noch weggenommen wird. Diese Angst in der Gesellschaft, die die rechten Kräfte stärkt und aufbläht, berührt und beschäftigt mich, weil man sie nicht mehr in den Griff zu bekommen scheint.

SB: Der Verwechslung, daß der Fremde der Feind sei, entgegenzutreten und gleichzeitig die wirklichen Machtverhältnisse zu hinterfragen, ist das der Antrieb deiner Arbeit?

LF: Ja, daß die Angst in eine falsche Richtung fokussiert wird. Mit unseren politischen Aufklärungsfilmen wollen wir den Menschen zeigen: Hey, das ist nicht dein individuelles Problem, und auch der Nachbar oder der Flüchtling sind nicht schuld daran, sondern es ist ein systemisches Problem und hat etwas mit der Entwicklung der Gesellschaft zu tun. Aber du als Bürgerin oder Bürger hast die Möglichkeit, dich dagegen zu wehren. Meines Erachtens kann nur die Zivilgesellschaft echten Widerstand aufbauen, denn die Politiker stehen so unter der Kuratel des Finanzkapitals, diesem ganzen Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck, daß ich ihnen nicht mehr vertraue. Natürlich möchte ich, daß die Leute zu den Wahlurnen gehen, aber sie müssen auch etwas fordern und sich nicht wie Schäfchen von allen möglichen politischen Richtungen einsacken lassen.

SB: Könntest du noch ein paar Worte zu euren bisherigen Filmen sagen?

LF: Herdolor Lorenz und ich arbeiten seit über 30 Jahren im Dokumentarbereich. In den letzten zehn Jahren haben wir uns mit Fragen der Daseinsvorsorge beschäftigt. Darunter fällt Gesundheit, Bildung, Mobilität und so weiter, also die grundsätzlichen Bereiche, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ein wichtiger Punkt ist dabei Wasser. Mit der Problematik dieses Lebenselexiers haben wir uns lange und intensiv auseinandergesetzt. Wasser ist auch ein politisches Druckmittel. Den ersten Film zu diesem Thema - "Das blaue Gold im Garten Eden" - habe ich 2003 gemacht. Dabei ging es um die Wasserfrage im Länderdreieck Türkei-Syrien-Irak, die jetzt zu einem Riesenproblem explodiert ist, denn Euphrat und Tigris entspringen in der Türkei. Türkische Politiker haben immer gesagt: Wir sitzen an den Wasserhähnen und bestimmen, was in der Region passiert.

SB: Inwieweit könnte in Anbetracht deiner Recherchen die Wasserknappheit eine Rolle gespielt haben beim Ausbruch der Feindseligkeiten in Syrien?

LF: Kriege in dieser Region gehen in der Regel um Öl und Macht, aber in diesem konkreten Fall geht es ganz klar auch um Wasser. In dieser Auseinandersetzung hat die Türkei immer wieder Druck auf Syrien ausgeübt. Als die PKK noch Lager in Nordsyrien hatte und Öcalan von dort aus den kurdischen Widerstand in der Türkei organisierte, hat die türkische Regierung explizit damit gedroht, den Zufluß von Wasser zu drosseln, sollte Syrien die PKK-Lager nicht schließen. Mit ihrem Staudammsystem hätte die Türkei jederzeit die Möglichkeit dazu gehabt. Ohne Wasser wäre Syrien wie eine Pflanze unter sengender Sonne verdorrt. Daraufhin sind die Lager in Syrien aufgelöst worden. Diesen Druck übt die Türkei nach wie vor aus. Die Wasserfrage ist ein starkes politisches Mittel.

SB: Wie ging es weiter in der Chronologie eurer Filme?

LF: Als wir dort in der Wüste waren und kein Wasser hatten, wurde mir die ganze Dimension des Problems schlagartig bewußt. Wir sind es gewohnt, den Wasserhahn aufzudrehen und jederzeit fließendes Wasser zu einem sozial verträglichen Preis zu haben. In den meisten Regionen Deutschlands ist es sogar trinkbar, dies gilt besonders für Hamburg - bis jetzt jedenfalls. Aber in Syrien ist es ganz anders. Dort gibt es mitunter stundenlang kein Wasser und trinkbar ist es ohnehin nicht. Überall, wo Wasser privatisiert ist wie in England oder früher in Uruguay und Argentinien, hat sich der Preis so verteuert, daß die Leute sich das tägliche Wasser zum Trinken nicht mehr leisten konnten.

Das hat uns zu der Frage geführt: Was sind das für Konzerne, die unser Lebenselexier privatisieren? Nur wer bezahlt, darf Wasser trinken, wer es sich nicht leisten kann, muß verdursten. Unser erster gemeinsamer Film hieß "Wasser unterm Hammer". In ihm haben wir die Teilprivatisierung der Wasserversorgung in Berlin mit Veolia und RWE in Kiel vor dem Hintergrund der englische Erfahrungen beschrieben. Margaret Thatcher hatte in ihrer Amtszeit die Wasserversorgung komplett in private Hände gelegt. In England gibt es mittlerweile zehn Wasserversorger. Damals hatte RWE Thames Water übernommen, doch 2005 wieder aus imageschädigenden Gründen abgestoßen.

SB: Was hat euch dann veranlaßt, den Film "Water Makes Money" zu drehen?

LF: In "Wasser unterm Hammer" hatten wir die Privatisierung zum Thema gemacht, aber in Frankreich sprechen die beiden französischen Konzerne Suez und Veolia nicht etwa von Privatisierung, sondern von Public Private Partnership. Von daher nimmt "Water Makes Money" die beiden weltgrößten privaten Wasserversorger vor allem hinsichtlich der drastischen Veränderungen in ihrem Heimatland Frankreich, wo die Wasserversorgung zu 75, 80 Prozent privatisiert war, unter die Lupe. Interessant daran ist, daß Public Private Partnership natürlich die beste Form ist, sozusagen in privater Betreiberschaft viel Geld aus der Wasserversorgung herauszuziehen, zumal die Öffentlichkeit die Kosten trägt. Public Private Partnership hat insbesondere in Frankreich viel damit zu tun, daß die Konzerne mit den Politikern enge Beziehungen aufgebaut haben, die dementsprechend Korruption begünstigen. Die Konzerne gaben den Politikern vor, welche Gesetze sie beschließen sollten, damit dies mit ihren Bauvorhaben d'accord gehen konnte. Durch Bestechung von Politikern wurde die Wasserversorgung in den französischen Städten reihum privatisiert. In der Folge mußten die Gemeinden viel zu viel für Wasser zahlen, und auch die Wasserqualität verschlechterte sich durch den Einsatz von Chlor. Zudem wurden die Rohre nicht repariert, wodurch ein hoher Wasserverlust entstand.

SB: 2015 wurde dann euer bislang letzter Film vorgestellt.

LF: Das war "Wer rettet wen? Die Krise als Geschäftsmodell". Dieser Film beleuchtet die Ursachen der Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Zukunft. "Der marktgerechte Mensch" ist quasi eine Fortführung dieses Films.

SB: Für "Der marktgerechte Mensch" habt ihr eine Crowdfunding-Aktion in Gang gesetzt. Gibt es keine öffentlichen Fördermittel, die ihr in Anspruch nehmen könntet?

LF: Nach "Wasser unterm Hammer", "Water Makes Money" und "Wer rettet wen?" ist "Der marktgerechte Mensch" unser vierter Film, den wir mit Crowdfunding finanzieren, nur daß wir dazu Subskription sagen. Der Unterschied ist uns wichtig, weil wir nicht über fremde Plattformen gehen, sondern unser Projekt auf unserer eigenen Webseite vorstellen. Jeder, der 20 Euro und mehr spendet, bekommt nach Fertigstellung des Films eine DVD zugeschickt und kann damit nichtkommerzielle Vorführungen machen.

Bereits nach dem ersten Projekt haben wir gelernt, daß es nicht nur auf die finanzielle Unterstützung ankommt. Viel wichtiger ist, daß alle, die sich an der Fertigstellung des Films beteiligen, Verantwortung dafür übernehmen, den Film nicht nur selbst zu sehen, sondern ihn auch anderen zu zeigen. Auf diese Weise wird die Thematik in die Breite der Gesellschaft getragen. Das Kino ist natürlich ein starker Impulsgeber, aber dadurch, daß der Film auch in Kneipen, Wohn- und Stadtteilgruppen als auch in Schulen und Universitäten, meistens in Verbindung mit Diskussionen, gezeigt wird, bilden sich häufig auch Bürgerinitiativen, weil die Leute eine Idee davon bekommen, was auf dem Spiel steht. Das ist der eigentliche Wert von Subskription.

SB: Hat es in den Leitmedien Rezensionen über eure Filme gegeben oder hat man euch eher ignoriert?

LF: Eher letzteres. "Bahn unterm Hammer" hatten wir dem Fernsehen angeboten, aber sie wollten nichts davon wissen und haben gesagt: Was interessiert es den Bürger, daß die Bahn an die Börse geht. Aber in dem Moment, als der Film überall in den Kinos lief und Leute Kampagnen gemacht haben, wurde das Thema über Monitor und Tagesthemen plötzlich in die Medien gehoben. Was unsere Filme über die Wasserproblematik anbelangt, hat außer der taz, dem Hamburger Abendblatt und der Süddeutschen Zeitung niemand darüber berichtet. Erst als Veolia gegen "Water Makes Money" einen Prozeß führte, entstand mehr mediale Aufmerksamkeit, aber ansonsten wurde das Thema Privatisierung und Rekommunalisierung von Wasser häufig schlicht vermieden. Das betraf nicht nur unseren Film, sondern eine ganze Reihe von Referenden wie zum Beispiel in Berlin, wo die Offenlegung der Verträge gefordert wurde. Obwohl unsere Filme sehr erfolgreich waren, haben sich die Medien meist nicht eingeklinkt, was aber auch klar ist, denn wir machen die Filme ja kontramedial.

SB: Und wie war die Resonanz seitens der gesellschaftlichen Öffentlichkeit?

LF: Allein in Deutschland gab es 730 Veranstaltungen seit der Premiere von "Wer rettet wen?" im letzten Jahr. Trotzdem treffe ich auf Veranstaltungen immer wieder Leute, die von uns oder dem Film noch nie etwas gehört haben. Zur Premiere des Films gab es einige sehr schöne Berichte in verschiedenen Programmen und Zeitungen, aber danach hat es trotz der zahlreichen Vorführungen des Films kaum noch Reaktionen gegeben. Wir erzählen eben in unserem Film Dinge, die in den Medien ganz anders dargestellt werden, das macht es so schwierig.

SB: Vor dem Hintergrund deiner langen Erfahrung im Bereich Dokumentarfilm einmal gefragt: Wie ist die heutige Situation von Dokumentarfilmern, die natürlich auf öffentlich-rechtliche Medien angewiesen sind?

LF: Es gab einmal eine Phase, wo es besser ging. Im Moment habe ich das Gefühl, daß es wieder richtig absackt und Medien und Fernsehen ziemlich gleichgeschaltet werden. Wenn man sich anschaut, wer in den Rundfunkräten sitzt, ist das nachlassende Interesse nicht verwunderlich. Daß "Die Anstalt" überhaupt noch existiert, finde ich grandios. Im Augenblick läuft eine Petition, das Kabarett nicht so spät auszustrahlen, sondern auf 20.15 Uhr vorzuverlegen. Die Petition sollte jeder unterschreiben, denn die Sendung ist eine Ausnahmeerscheinung.

Ich möchte gar nicht bestreiten, daß auch gute Filme gemacht werden, aber sie werden immer mehr in die Spätprogramme gedrückt. Unser Film "Wer rettet wen?" macht ja einen Bogen von den Ursachen bis zu den Auswirkungen in der Zukunft. Was sonst zu diesem Thema gezeigt wurde, betraf eher die Symptome der Krise. Aber niemand spricht darüber, wie Konzerne und Institutionen überhaupt eine solche Machtkonzentration erreicht haben. Das ist auch meine Kritik an die Adresse des Fernsehen. Man versucht, die Hintergründe einfach wegzulassen oder Filme, die dies nicht tun, in wenig frequentierte Tageszeiten oder Spartenprogramme auszulagern.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß alternative Formen des Filmemachens, aber auch der Aufführung von Filmen, wie es sie in den 60er und 70er Jahren in Ansätzen gab, vielleicht noch einmal zu einer Art Gegenbewegung führen?

LF: Ja unbedingt. So haben beispielsweise die Crowdfunding-Bewegungen über ihre Plattformen im Internet einen wahnsinnigen Schub gekriegt, daß Leute anfangen, unabhängig vom Fernsehen oder der Filmförderung Filme mit hohem Aufklärungsanspruch zu machen. Ich denke schon, daß es möglich ist. Ich möchte jedoch noch anfügen, daß uns Arte bei "Water Makes Money" total unterstützt und den Film extra am Abend vor dem Prozeß noch einmal gezeigt hat. Am Prozeßtag selbst gab es noch ein Interview. Aber bei "Wer rettet wen?" wollten sie nicht mitgehen, und "Der marktgerechte Mensch" hängt noch in der Schwebe.

Zu diesem neuen Projekt haben wir am 1. September einen Spendenaufruf [3] gemacht, und das Echo ist wirklich toll. Daß so viele Leute gespendet und auch geschrieben haben: Es ist phantastisch, daß ihr euch diesem superwichtigen Thema zuwendet, über das keiner sprechen will - hat uns in unserer Arbeit unheimlich bestärkt.

SB: Leslie, vielen Dank für das Gespräch.

INTERVIEW/323: Mikroinitiative Gewerkschaftsbasen - Kino von unten ... Leslie Franke im Gespräch (SB)

Filmkultur sozial bewegt

Interview in Hamburg-Rotherbaum am 7. September 2016

Leslie Franke ist Dokumentarfilmerin und lebt in Hamburg. Gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Herdolor Lorenz [1] hat sie mehrere Filme gedreht, die sich kritisch mit der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus, den sozialen Folgen der neoliberalen Marktwirtschaft und sozialökologischen Problemen, die bei der Privatisierung der lebenswichtigen Ressource Wasser entstehen, auseinandersetzen. Am Rande einer Veranstaltung der Gewerkschaftslinken Hamburg, bei der eine Delegation von Eisenbahngewerkschaftern aus Japan über ihre Arbeitskämpfe vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima berichtete [2], beantwortete Leslie Franke dem Schattenblick einige Fragen zu ihren bisherigen Produktionen und der besonderen Art und Weise, wie die beiden Filmemacher ihr Medium dazu nutzen, das Publikum aktiv am Zustandekommen und der Verbreitung politisch wichtiger Aufklärung zu beteiligen und so in Bewegung zu bringen.

Schattenblick (SB): Euer neues in Arbeit befindliche Filmprojekt heißt "Der marktgerechte Mensch". Worum geht es dabei?

Leslie Franke (LF): Das Filmprojekt beschäftigt sich mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Angefangen hat diese Entwicklung hauptsächlich mit der Schröder-Regierung und der Einführung von Leiharbeit, Werkverträgen, unbefristeter Arbeit usw. Im gleichen Zuge wurden alle Arbeitsschutzrichtlinien und -standards weitgehend zusammengestrichen. Unser Thema ist im Prinzip: Welche Ursachen hat diese Entwicklung, wie war sie durchzusetzen, was macht sie mit den Menschen und der Gesellschaft?

SB: Welches Konzept steckt hinter eurem Film, basiert es vor allem auf Interviews oder geht es mehr um die Chronologie der staatlichen Maßnahmen?

LF: Wir haben verschiedene Bereiche im Blick, aber den Drehplan machen wir erst jetzt. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit der Gesundheitsreform und dem Pflegenotstand. So tritt im Film zum Beispiel ein Trucker auf, um die Frage zu beleuchten, was die Öffnung der Grenzen und der Abbau der arbeitsrechtlichen Standards, die in Brüssel verfügt wurden, für die Fernfahrer und ihre Arbeit bedeutet. Zu den verschiedenen Arbeitsfeldern, die wir untersuchen wollen, gehören unter anderem die Leih- und Werk-, aber auch die Internetarbeit, wo zumeist jungen Leuten versprochen wird, sie seien frei in ihrer Arbeitseinteilung.

Letztendlich ist es jedoch eine Form von Sklavenarbeit, weil man nur auf Abruf angestellt wird und den Arbeitsvertrag, sofern man überhaupt einen bekommt, mit dem jeweiligen Arbeitgeber individuell abstimmen muß. Dabei herauszuarbeiten, daß die Arbeitsmarktderegulierung den Menschen total in die Vereinzelung treibt, ist uns ganz besonders wichtig, weil so jede Form von Solidarität unmöglich gemacht wird und jeder gezwungen ist, nur noch für sich allein zu kämpfen. So hat die französische Regierung ein Arbeitsgesetz durchgebracht, dessen zentraler Punkt darin besteht, daß jeder einzelne mit seinem Arbeitgeber die Bedingungen seiner Arbeit aushandelt. Das wirft uns, ich würde sagen, in frühindustrielle Verhältnisse und damit um Jahrhunderte zurück und hebt all das, was seitdem erkämpft worden ist, mit einem Federstrich wieder auf.

Wir wollen damit keineswegs sagen, daß früher alles besser war. Die Arbeitsbedingungen haben sich verändert, und natürlich muß man darüber nachdenken, wie man mit dieser Veränderung umgehen kann. Aber einen Arbeitsschutz muß es weiterhin geben, sowohl auf dem Arbeitsplatz als auch hinsichtlich der Verträge und der sozialen Absicherung durch die Rente. Denn eine Arbeit auf Honorarbasis provoziert eine unheimliche Arbeitsarmut. Es ist schon jetzt abzusehen, worauf das Ganze hinausläuft. An der Art und Weise, wie im Zuge der Finanzkrise praktisch alle sozialen Standards ausgehebelt wurden und den südlichen Staaten eine Austeritätspolitik aufgezwungen worden ist, kann man leicht erkennen, was passiert, wenn diese Bestimmungen aus den Angeln gehoben werden. Nachdem dieses neoliberale Modell in der Hauptsache bei uns in Deutschland unter Gerhard Schröder eingeführt wurde, wird jetzt versucht, es für ganz Europa festzuschreiben.

SB: Ihr greift im Grunde ein klassisches Thema der Linken auf, die das Verhältnis von Kapital und Arbeit in seiner grundlegenden Widersprüchlichkeit allerdings nur noch randläufig behandelt. Welche persönliche Motivation hattest du, dich diesem nicht unbedingt wohlgelittenen Thema zuzuwenden?

LF: Dennoch ist es total populär, weil es uns allen auf den Fingern brennt. Amazon ist natürlich exemplarisch für diese Entwicklung, aber es gibt um uns herum verschiedene andere Beispiele, wo die Leute um Sicherheit ringen, aber nur Verträge für drei oder sechs Monate, vielleicht mal für ein Jahr kriegen und nicht wissen, wie es mit ihnen hinterher weitergeht. Auch im Schulwesen gibt es mehr und mehr befristete Lehrer, die in den Sommerferien freigestellt werden und nicht wissen, ob sie im September wieder angestellt werden, und das, obwohl sie dringend gebraucht werden. Darauf den Blick zu richten, was es mit den Menschen macht, wenn sie nicht wissen, wovon sie morgen oder übermorgen leben sollen, ist meine persönliche Motivation, denn daß der Mensch sich ernähren können muß, ist etwas Grundlegendes.

So wie ich es sehe, gebiert dieser haltlose Zustand den ganzen Auswuchs an Angst in der Gesellschaft vor den Fremden. Jahrzehntelang konnte man in der Bundesrepublik ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit in Anspruch nehmen, doch dies fällt seit einiger Zeit in sich zusammen. Die Leute merken es nun und bekommen Angst, daß ihnen das, was von diesen Sicherheiten geblieben ist, auch noch weggenommen wird. Diese Angst in der Gesellschaft, die die rechten Kräfte stärkt und aufbläht, berührt und beschäftigt mich, weil man sie nicht mehr in den Griff zu bekommen scheint.

SB: Der Verwechslung, daß der Fremde der Feind sei, entgegenzutreten und gleichzeitig die wirklichen Machtverhältnisse zu hinterfragen, ist das der Antrieb deiner Arbeit?

LF: Ja, daß die Angst in eine falsche Richtung fokussiert wird. Mit unseren politischen Aufklärungsfilmen wollen wir den Menschen zeigen: Hey, das ist nicht dein individuelles Problem, und auch der Nachbar oder der Flüchtling sind nicht schuld daran, sondern es ist ein systemisches Problem und hat etwas mit der Entwicklung der Gesellschaft zu tun. Aber du als Bürgerin oder Bürger hast die Möglichkeit, dich dagegen zu wehren. Meines Erachtens kann nur die Zivilgesellschaft echten Widerstand aufbauen, denn die Politiker stehen so unter der Kuratel des Finanzkapitals, diesem ganzen Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck, daß ich ihnen nicht mehr vertraue. Natürlich möchte ich, daß die Leute zu den Wahlurnen gehen, aber sie müssen auch etwas fordern und sich nicht wie Schäfchen von allen möglichen politischen Richtungen einsacken lassen.

SB: Könntest du noch ein paar Worte zu euren bisherigen Filmen sagen?

LF: Herdolor Lorenz und ich arbeiten seit über 30 Jahren im Dokumentarbereich. In den letzten zehn Jahren haben wir uns mit Fragen der Daseinsvorsorge beschäftigt. Darunter fällt Gesundheit, Bildung, Mobilität und so weiter, also die grundsätzlichen Bereiche, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ein wichtiger Punkt ist dabei Wasser. Mit der Problematik dieses Lebenselexiers haben wir uns lange und intensiv auseinandergesetzt. Wasser ist auch ein politisches Druckmittel. Den ersten Film zu diesem Thema - "Das blaue Gold im Garten Eden" - habe ich 2003 gemacht. Dabei ging es um die Wasserfrage im Länderdreieck Türkei-Syrien-Irak, die jetzt zu einem Riesenproblem explodiert ist, denn Euphrat und Tigris entspringen in der Türkei. Türkische Politiker haben immer gesagt: Wir sitzen an den Wasserhähnen und bestimmen, was in der Region passiert.

SB: Inwieweit könnte in Anbetracht deiner Recherchen die Wasserknappheit eine Rolle gespielt haben beim Ausbruch der Feindseligkeiten in Syrien?

LF: Kriege in dieser Region gehen in der Regel um Öl und Macht, aber in diesem konkreten Fall geht es ganz klar auch um Wasser. In dieser Auseinandersetzung hat die Türkei immer wieder Druck auf Syrien ausgeübt. Als die PKK noch Lager in Nordsyrien hatte und Öcalan von dort aus den kurdischen Widerstand in der Türkei organisierte, hat die türkische Regierung explizit damit gedroht, den Zufluß von Wasser zu drosseln, sollte Syrien die PKK-Lager nicht schließen. Mit ihrem Staudammsystem hätte die Türkei jederzeit die Möglichkeit dazu gehabt. Ohne Wasser wäre Syrien wie eine Pflanze unter sengender Sonne verdorrt. Daraufhin sind die Lager in Syrien aufgelöst worden. Diesen Druck übt die Türkei nach wie vor aus. Die Wasserfrage ist ein starkes politisches Mittel.

SB: Wie ging es weiter in der Chronologie eurer Filme?

LF: Als wir dort in der Wüste waren und kein Wasser hatten, wurde mir die ganze Dimension des Problems schlagartig bewußt. Wir sind es gewohnt, den Wasserhahn aufzudrehen und jederzeit fließendes Wasser zu einem sozial verträglichen Preis zu haben. In den meisten Regionen Deutschlands ist es sogar trinkbar, dies gilt besonders für Hamburg - bis jetzt jedenfalls. Aber in Syrien ist es ganz anders. Dort gibt es mitunter stundenlang kein Wasser und trinkbar ist es ohnehin nicht. Überall, wo Wasser privatisiert ist wie in England oder früher in Uruguay und Argentinien, hat sich der Preis so verteuert, daß die Leute sich das tägliche Wasser zum Trinken nicht mehr leisten konnten.

Das hat uns zu der Frage geführt: Was sind das für Konzerne, die unser Lebenselexier privatisieren? Nur wer bezahlt, darf Wasser trinken, wer es sich nicht leisten kann, muß verdursten. Unser erster gemeinsamer Film hieß "Wasser unterm Hammer". In ihm haben wir die Teilprivatisierung der Wasserversorgung in Berlin mit Veolia und RWE in Kiel vor dem Hintergrund der englische Erfahrungen beschrieben. Margaret Thatcher hatte in ihrer Amtszeit die Wasserversorgung komplett in private Hände gelegt. In England gibt es mittlerweile zehn Wasserversorger. Damals hatte RWE Thames Water übernommen, doch 2005 wieder aus imageschädigenden Gründen abgestoßen.

SB: Was hat euch dann veranlaßt, den Film "Water Makes Money" zu drehen?

LF: In "Wasser unterm Hammer" hatten wir die Privatisierung zum Thema gemacht, aber in Frankreich sprechen die beiden französischen Konzerne Suez und Veolia nicht etwa von Privatisierung, sondern von Public Private Partnership. Von daher nimmt "Water Makes Money" die beiden weltgrößten privaten Wasserversorger vor allem hinsichtlich der drastischen Veränderungen in ihrem Heimatland Frankreich, wo die Wasserversorgung zu 75, 80 Prozent privatisiert war, unter die Lupe. Interessant daran ist, daß Public Private Partnership natürlich die beste Form ist, sozusagen in privater Betreiberschaft viel Geld aus der Wasserversorgung herauszuziehen, zumal die Öffentlichkeit die Kosten trägt. Public Private Partnership hat insbesondere in Frankreich viel damit zu tun, daß die Konzerne mit den Politikern enge Beziehungen aufgebaut haben, die dementsprechend Korruption begünstigen. Die Konzerne gaben den Politikern vor, welche Gesetze sie beschließen sollten, damit dies mit ihren Bauvorhaben d'accord gehen konnte. Durch Bestechung von Politikern wurde die Wasserversorgung in den französischen Städten reihum privatisiert. In der Folge mußten die Gemeinden viel zu viel für Wasser zahlen, und auch die Wasserqualität verschlechterte sich durch den Einsatz von Chlor. Zudem wurden die Rohre nicht repariert, wodurch ein hoher Wasserverlust entstand.

SB: 2015 wurde dann euer bislang letzter Film vorgestellt.

LF: Das war "Wer rettet wen? Die Krise als Geschäftsmodell". Dieser Film beleuchtet die Ursachen der Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Zukunft. "Der marktgerechte Mensch" ist quasi eine Fortführung dieses Films.

SB: Für "Der marktgerechte Mensch" habt ihr eine Crowdfunding-Aktion in Gang gesetzt. Gibt es keine öffentlichen Fördermittel, die ihr in Anspruch nehmen könntet?

LF: Nach "Wasser unterm Hammer", "Water Makes Money" und "Wer rettet wen?" ist "Der marktgerechte Mensch" unser vierter Film, den wir mit Crowdfunding finanzieren, nur daß wir dazu Subskription sagen. Der Unterschied ist uns wichtig, weil wir nicht über fremde Plattformen gehen, sondern unser Projekt auf unserer eigenen Webseite vorstellen. Jeder, der 20 Euro und mehr spendet, bekommt nach Fertigstellung des Films eine DVD zugeschickt und kann damit nichtkommerzielle Vorführungen machen.

Bereits nach dem ersten Projekt haben wir gelernt, daß es nicht nur auf die finanzielle Unterstützung ankommt. Viel wichtiger ist, daß alle, die sich an der Fertigstellung des Films beteiligen, Verantwortung dafür übernehmen, den Film nicht nur selbst zu sehen, sondern ihn auch anderen zu zeigen. Auf diese Weise wird die Thematik in die Breite der Gesellschaft getragen. Das Kino ist natürlich ein starker Impulsgeber, aber dadurch, daß der Film auch in Kneipen, Wohn- und Stadtteilgruppen als auch in Schulen und Universitäten, meistens in Verbindung mit Diskussionen, gezeigt wird, bilden sich häufig auch Bürgerinitiativen, weil die Leute eine Idee davon bekommen, was auf dem Spiel steht. Das ist der eigentliche Wert von Subskription.

SB: Hat es in den Leitmedien Rezensionen über eure Filme gegeben oder hat man euch eher ignoriert?

LF: Eher letzteres. "Bahn unterm Hammer" hatten wir dem Fernsehen angeboten, aber sie wollten nichts davon wissen und haben gesagt: Was interessiert es den Bürger, daß die Bahn an die Börse geht. Aber in dem Moment, als der Film überall in den Kinos lief und Leute Kampagnen gemacht haben, wurde das Thema über Monitor und Tagesthemen plötzlich in die Medien gehoben. Was unsere Filme über die Wasserproblematik anbelangt, hat außer der taz, dem Hamburger Abendblatt und der Süddeutschen Zeitung niemand darüber berichtet. Erst als Veolia gegen "Water Makes Money" einen Prozeß führte, entstand mehr mediale Aufmerksamkeit, aber ansonsten wurde das Thema Privatisierung und Rekommunalisierung von Wasser häufig schlicht vermieden. Das betraf nicht nur unseren Film, sondern eine ganze Reihe von Referenden wie zum Beispiel in Berlin, wo die Offenlegung der Verträge gefordert wurde. Obwohl unsere Filme sehr erfolgreich waren, haben sich die Medien meist nicht eingeklinkt, was aber auch klar ist, denn wir machen die Filme ja kontramedial.

SB: Und wie war die Resonanz seitens der gesellschaftlichen Öffentlichkeit?

LF: Allein in Deutschland gab es 730 Veranstaltungen seit der Premiere von "Wer rettet wen?" im letzten Jahr. Trotzdem treffe ich auf Veranstaltungen immer wieder Leute, die von uns oder dem Film noch nie etwas gehört haben. Zur Premiere des Films gab es einige sehr schöne Berichte in verschiedenen Programmen und Zeitungen, aber danach hat es trotz der zahlreichen Vorführungen des Films kaum noch Reaktionen gegeben. Wir erzählen eben in unserem Film Dinge, die in den Medien ganz anders dargestellt werden, das macht es so schwierig.

SB: Vor dem Hintergrund deiner langen Erfahrung im Bereich Dokumentarfilm einmal gefragt: Wie ist die heutige Situation von Dokumentarfilmern, die natürlich auf öffentlich-rechtliche Medien angewiesen sind?

LF: Es gab einmal eine Phase, wo es besser ging. Im Moment habe ich das Gefühl, daß es wieder richtig absackt und Medien und Fernsehen ziemlich gleichgeschaltet werden. Wenn man sich anschaut, wer in den Rundfunkräten sitzt, ist das nachlassende Interesse nicht verwunderlich. Daß "Die Anstalt" überhaupt noch existiert, finde ich grandios. Im Augenblick läuft eine Petition, das Kabarett nicht so spät auszustrahlen, sondern auf 20.15 Uhr vorzuverlegen. Die Petition sollte jeder unterschreiben, denn die Sendung ist eine Ausnahmeerscheinung.

Ich möchte gar nicht bestreiten, daß auch gute Filme gemacht werden, aber sie werden immer mehr in die Spätprogramme gedrückt. Unser Film "Wer rettet wen?" macht ja einen Bogen von den Ursachen bis zu den Auswirkungen in der Zukunft. Was sonst zu diesem Thema gezeigt wurde, betraf eher die Symptome der Krise. Aber niemand spricht darüber, wie Konzerne und Institutionen überhaupt eine solche Machtkonzentration erreicht haben. Das ist auch meine Kritik an die Adresse des Fernsehen. Man versucht, die Hintergründe einfach wegzulassen oder Filme, die dies nicht tun, in wenig frequentierte Tageszeiten oder Spartenprogramme auszulagern.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß alternative Formen des Filmemachens, aber auch der Aufführung von Filmen, wie es sie in den 60er und 70er Jahren in Ansätzen gab, vielleicht noch einmal zu einer Art Gegenbewegung führen?

LF: Ja unbedingt. So haben beispielsweise die Crowdfunding-Bewegungen über ihre Plattformen im Internet einen wahnsinnigen Schub gekriegt, daß Leute anfangen, unabhängig vom Fernsehen oder der Filmförderung Filme mit hohem Aufklärungsanspruch zu machen. Ich denke schon, daß es möglich ist. Ich möchte jedoch noch anfügen, daß uns Arte bei "Water Makes Money" total unterstützt und den Film extra am Abend vor dem Prozeß noch einmal gezeigt hat. Am Prozeßtag selbst gab es noch ein Interview. Aber bei "Wer rettet wen?" wollten sie nicht mitgehen, und "Der marktgerechte Mensch" hängt noch in der Schwebe.

Zu diesem neuen Projekt haben wir am 1. September einen Spendenaufruf [3] gemacht, und das Echo ist wirklich toll. Daß so viele Leute gespendet und auch geschrieben haben: Es ist phantastisch, daß ihr euch diesem superwichtigen Thema zuwendet, über das keiner sprechen will - hat uns in unserer Arbeit unheimlich bestärkt.

SB: Leslie, vielen Dank für das Gespräch.

INTERVIEW/323: Mikroinitiative Gewerkschaftsbasen - Kino von unten ... Leslie Franke im Gespräch (SB)

Filmkultur sozial bewegt

Interview in Hamburg-Rotherbaum am 7. September 2016

Leslie Franke ist Dokumentarfilmerin und lebt in Hamburg. Gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Herdolor Lorenz [1] hat sie mehrere Filme gedreht, die sich kritisch mit der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus, den sozialen Folgen der neoliberalen Marktwirtschaft und sozialökologischen Problemen, die bei der Privatisierung der lebenswichtigen Ressource Wasser entstehen, auseinandersetzen. Am Rande einer Veranstaltung der Gewerkschaftslinken Hamburg, bei der eine Delegation von Eisenbahngewerkschaftern aus Japan über ihre Arbeitskämpfe vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima berichtete [2], beantwortete Leslie Franke dem Schattenblick einige Fragen zu ihren bisherigen Produktionen und der besonderen Art und Weise, wie die beiden Filmemacher ihr Medium dazu nutzen, das Publikum aktiv am Zustandekommen und der Verbreitung politisch wichtiger Aufklärung zu beteiligen und so in Bewegung zu bringen.

Schattenblick (SB): Euer neues in Arbeit befindliche Filmprojekt heißt "Der marktgerechte Mensch". Worum geht es dabei?

Leslie Franke (LF): Das Filmprojekt beschäftigt sich mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Angefangen hat diese Entwicklung hauptsächlich mit der Schröder-Regierung und der Einführung von Leiharbeit, Werkverträgen, unbefristeter Arbeit usw. Im gleichen Zuge wurden alle Arbeitsschutzrichtlinien und -standards weitgehend zusammengestrichen. Unser Thema ist im Prinzip: Welche Ursachen hat diese Entwicklung, wie war sie durchzusetzen, was macht sie mit den Menschen und der Gesellschaft?

SB: Welches Konzept steckt hinter eurem Film, basiert es vor allem auf Interviews oder geht es mehr um die Chronologie der staatlichen Maßnahmen?

LF: Wir haben verschiedene Bereiche im Blick, aber den Drehplan machen wir erst jetzt. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit der Gesundheitsreform und dem Pflegenotstand. So tritt im Film zum Beispiel ein Trucker auf, um die Frage zu beleuchten, was die Öffnung der Grenzen und der Abbau der arbeitsrechtlichen Standards, die in Brüssel verfügt wurden, für die Fernfahrer und ihre Arbeit bedeutet. Zu den verschiedenen Arbeitsfeldern, die wir untersuchen wollen, gehören unter anderem die Leih- und Werk-, aber auch die Internetarbeit, wo zumeist jungen Leuten versprochen wird, sie seien frei in ihrer Arbeitseinteilung.

Letztendlich ist es jedoch eine Form von Sklavenarbeit, weil man nur auf Abruf angestellt wird und den Arbeitsvertrag, sofern man überhaupt einen bekommt, mit dem jeweiligen Arbeitgeber individuell abstimmen muß. Dabei herauszuarbeiten, daß die Arbeitsmarktderegulierung den Menschen total in die Vereinzelung treibt, ist uns ganz besonders wichtig, weil so jede Form von Solidarität unmöglich gemacht wird und jeder gezwungen ist, nur noch für sich allein zu kämpfen. So hat die französische Regierung ein Arbeitsgesetz durchgebracht, dessen zentraler Punkt darin besteht, daß jeder einzelne mit seinem Arbeitgeber die Bedingungen seiner Arbeit aushandelt. Das wirft uns, ich würde sagen, in frühindustrielle Verhältnisse und damit um Jahrhunderte zurück und hebt all das, was seitdem erkämpft worden ist, mit einem Federstrich wieder auf.

Wir wollen damit keineswegs sagen, daß früher alles besser war. Die Arbeitsbedingungen haben sich verändert, und natürlich muß man darüber nachdenken, wie man mit dieser Veränderung umgehen kann. Aber einen Arbeitsschutz muß es weiterhin geben, sowohl auf dem Arbeitsplatz als auch hinsichtlich der Verträge und der sozialen Absicherung durch die Rente. Denn eine Arbeit auf Honorarbasis provoziert eine unheimliche Arbeitsarmut. Es ist schon jetzt abzusehen, worauf das Ganze hinausläuft. An der Art und Weise, wie im Zuge der Finanzkrise praktisch alle sozialen Standards ausgehebelt wurden und den südlichen Staaten eine Austeritätspolitik aufgezwungen worden ist, kann man leicht erkennen, was passiert, wenn diese Bestimmungen aus den Angeln gehoben werden. Nachdem dieses neoliberale Modell in der Hauptsache bei uns in Deutschland unter Gerhard Schröder eingeführt wurde, wird jetzt versucht, es für ganz Europa festzuschreiben.

SB: Ihr greift im Grunde ein klassisches Thema der Linken auf, die das Verhältnis von Kapital und Arbeit in seiner grundlegenden Widersprüchlichkeit allerdings nur noch randläufig behandelt. Welche persönliche Motivation hattest du, dich diesem nicht unbedingt wohlgelittenen Thema zuzuwenden?

LF: Dennoch ist es total populär, weil es uns allen auf den Fingern brennt. Amazon ist natürlich exemplarisch für diese Entwicklung, aber es gibt um uns herum verschiedene andere Beispiele, wo die Leute um Sicherheit ringen, aber nur Verträge für drei oder sechs Monate, vielleicht mal für ein Jahr kriegen und nicht wissen, wie es mit ihnen hinterher weitergeht. Auch im Schulwesen gibt es mehr und mehr befristete Lehrer, die in den Sommerferien freigestellt werden und nicht wissen, ob sie im September wieder angestellt werden, und das, obwohl sie dringend gebraucht werden. Darauf den Blick zu richten, was es mit den Menschen macht, wenn sie nicht wissen, wovon sie morgen oder übermorgen leben sollen, ist meine persönliche Motivation, denn daß der Mensch sich ernähren können muß, ist etwas Grundlegendes.

So wie ich es sehe, gebiert dieser haltlose Zustand den ganzen Auswuchs an Angst in der Gesellschaft vor den Fremden. Jahrzehntelang konnte man in der Bundesrepublik ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit in Anspruch nehmen, doch dies fällt seit einiger Zeit in sich zusammen. Die Leute merken es nun und bekommen Angst, daß ihnen das, was von diesen Sicherheiten geblieben ist, auch noch weggenommen wird. Diese Angst in der Gesellschaft, die die rechten Kräfte stärkt und aufbläht, berührt und beschäftigt mich, weil man sie nicht mehr in den Griff zu bekommen scheint.

SB: Der Verwechslung, daß der Fremde der Feind sei, entgegenzutreten und gleichzeitig die wirklichen Machtverhältnisse zu hinterfragen, ist das der Antrieb deiner Arbeit?

LF: Ja, daß die Angst in eine falsche Richtung fokussiert wird. Mit unseren politischen Aufklärungsfilmen wollen wir den Menschen zeigen: Hey, das ist nicht dein individuelles Problem, und auch der Nachbar oder der Flüchtling sind nicht schuld daran, sondern es ist ein systemisches Problem und hat etwas mit der Entwicklung der Gesellschaft zu tun. Aber du als Bürgerin oder Bürger hast die Möglichkeit, dich dagegen zu wehren. Meines Erachtens kann nur die Zivilgesellschaft echten Widerstand aufbauen, denn die Politiker stehen so unter der Kuratel des Finanzkapitals, diesem ganzen Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck, daß ich ihnen nicht mehr vertraue. Natürlich möchte ich, daß die Leute zu den Wahlurnen gehen, aber sie müssen auch etwas fordern und sich nicht wie Schäfchen von allen möglichen politischen Richtungen einsacken lassen.

SB: Könntest du noch ein paar Worte zu euren bisherigen Filmen sagen?

LF: Herdolor Lorenz und ich arbeiten seit über 30 Jahren im Dokumentarbereich. In den letzten zehn Jahren haben wir uns mit Fragen der Daseinsvorsorge beschäftigt. Darunter fällt Gesundheit, Bildung, Mobilität und so weiter, also die grundsätzlichen Bereiche, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ein wichtiger Punkt ist dabei Wasser. Mit der Problematik dieses Lebenselexiers haben wir uns lange und intensiv auseinandergesetzt. Wasser ist auch ein politisches Druckmittel. Den ersten Film zu diesem Thema - "Das blaue Gold im Garten Eden" - habe ich 2003 gemacht. Dabei ging es um die Wasserfrage im Länderdreieck Türkei-Syrien-Irak, die jetzt zu einem Riesenproblem explodiert ist, denn Euphrat und Tigris entspringen in der Türkei. Türkische Politiker haben immer gesagt: Wir sitzen an den Wasserhähnen und bestimmen, was in der Region passiert.

SB: Inwieweit könnte in Anbetracht deiner Recherchen die Wasserknappheit eine Rolle gespielt haben beim Ausbruch der Feindseligkeiten in Syrien?

LF: Kriege in dieser Region gehen in der Regel um Öl und Macht, aber in diesem konkreten Fall geht es ganz klar auch um Wasser. In dieser Auseinandersetzung hat die Türkei immer wieder Druck auf Syrien ausgeübt. Als die PKK noch Lager in Nordsyrien hatte und Öcalan von dort aus den kurdischen Widerstand in der Türkei organisierte, hat die türkische Regierung explizit damit gedroht, den Zufluß von Wasser zu drosseln, sollte Syrien die PKK-Lager nicht schließen. Mit ihrem Staudammsystem hätte die Türkei jederzeit die Möglichkeit dazu gehabt. Ohne Wasser wäre Syrien wie eine Pflanze unter sengender Sonne verdorrt. Daraufhin sind die Lager in Syrien aufgelöst worden. Diesen Druck übt die Türkei nach wie vor aus. Die Wasserfrage ist ein starkes politisches Mittel.

SB: Wie ging es weiter in der Chronologie eurer Filme?

LF: Als wir dort in der Wüste waren und kein Wasser hatten, wurde mir die ganze Dimension des Problems schlagartig bewußt. Wir sind es gewohnt, den Wasserhahn aufzudrehen und jederzeit fließendes Wasser zu einem sozial verträglichen Preis zu haben. In den meisten Regionen Deutschlands ist es sogar trinkbar, dies gilt besonders für Hamburg - bis jetzt jedenfalls. Aber in Syrien ist es ganz anders. Dort gibt es mitunter stundenlang kein Wasser und trinkbar ist es ohnehin nicht. Überall, wo Wasser privatisiert ist wie in England oder früher in Uruguay und Argentinien, hat sich der Preis so verteuert, daß die Leute sich das tägliche Wasser zum Trinken nicht mehr leisten konnten.

Das hat uns zu der Frage geführt: Was sind das für Konzerne, die unser Lebenselexier privatisieren? Nur wer bezahlt, darf Wasser trinken, wer es sich nicht leisten kann, muß verdursten. Unser erster gemeinsamer Film hieß "Wasser unterm Hammer". In ihm haben wir die Teilprivatisierung der Wasserversorgung in Berlin mit Veolia und RWE in Kiel vor dem Hintergrund der englische Erfahrungen beschrieben. Margaret Thatcher hatte in ihrer Amtszeit die Wasserversorgung komplett in private Hände gelegt. In England gibt es mittlerweile zehn Wasserversorger. Damals hatte RWE Thames Water übernommen, doch 2005 wieder aus imageschädigenden Gründen abgestoßen.

SB: Was hat euch dann veranlaßt, den Film "Water Makes Money" zu drehen?

LF: In "Wasser unterm Hammer" hatten wir die Privatisierung zum Thema gemacht, aber in Frankreich sprechen die beiden französischen Konzerne Suez und Veolia nicht etwa von Privatisierung, sondern von Public Private Partnership. Von daher nimmt "Water Makes Money" die beiden weltgrößten privaten Wasserversorger vor allem hinsichtlich der drastischen Veränderungen in ihrem Heimatland Frankreich, wo die Wasserversorgung zu 75, 80 Prozent privatisiert war, unter die Lupe. Interessant daran ist, daß Public Private Partnership natürlich die beste Form ist, sozusagen in privater Betreiberschaft viel Geld aus der Wasserversorgung herauszuziehen, zumal die Öffentlichkeit die Kosten trägt. Public Private Partnership hat insbesondere in Frankreich viel damit zu tun, daß die Konzerne mit den Politikern enge Beziehungen aufgebaut haben, die dementsprechend Korruption begünstigen. Die Konzerne gaben den Politikern vor, welche Gesetze sie beschließen sollten, damit dies mit ihren Bauvorhaben d'accord gehen konnte. Durch Bestechung von Politikern wurde die Wasserversorgung in den französischen Städten reihum privatisiert. In der Folge mußten die Gemeinden viel zu viel für Wasser zahlen, und auch die Wasserqualität verschlechterte sich durch den Einsatz von Chlor. Zudem wurden die Rohre nicht repariert, wodurch ein hoher Wasserverlust entstand.

SB: 2015 wurde dann euer bislang letzter Film vorgestellt.

LF: Das war "Wer rettet wen? Die Krise als Geschäftsmodell". Dieser Film beleuchtet die Ursachen der Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Zukunft. "Der marktgerechte Mensch" ist quasi eine Fortführung dieses Films.

SB: Für "Der marktgerechte Mensch" habt ihr eine Crowdfunding-Aktion in Gang gesetzt. Gibt es keine öffentlichen Fördermittel, die ihr in Anspruch nehmen könntet?

LF: Nach "Wasser unterm Hammer", "Water Makes Money" und "Wer rettet wen?" ist "Der marktgerechte Mensch" unser vierter Film, den wir mit Crowdfunding finanzieren, nur daß wir dazu Subskription sagen. Der Unterschied ist uns wichtig, weil wir nicht über fremde Plattformen gehen, sondern unser Projekt auf unserer eigenen Webseite vorstellen. Jeder, der 20 Euro und mehr spendet, bekommt nach Fertigstellung des Films eine DVD zugeschickt und kann damit nichtkommerzielle Vorführungen machen.

Bereits nach dem ersten Projekt haben wir gelernt, daß es nicht nur auf die finanzielle Unterstützung ankommt. Viel wichtiger ist, daß alle, die sich an der Fertigstellung des Films beteiligen, Verantwortung dafür übernehmen, den Film nicht nur selbst zu sehen, sondern ihn auch anderen zu zeigen. Auf diese Weise wird die Thematik in die Breite der Gesellschaft getragen. Das Kino ist natürlich ein starker Impulsgeber, aber dadurch, daß der Film auch in Kneipen, Wohn- und Stadtteilgruppen als auch in Schulen und Universitäten, meistens in Verbindung mit Diskussionen, gezeigt wird, bilden sich häufig auch Bürgerinitiativen, weil die Leute eine Idee davon bekommen, was auf dem Spiel steht. Das ist der eigentliche Wert von Subskription.

SB: Hat es in den Leitmedien Rezensionen über eure Filme gegeben oder hat man euch eher ignoriert?

LF: Eher letzteres. "Bahn unterm Hammer" hatten wir dem Fernsehen angeboten, aber sie wollten nichts davon wissen und haben gesagt: Was interessiert es den Bürger, daß die Bahn an die Börse geht. Aber in dem Moment, als der Film überall in den Kinos lief und Leute Kampagnen gemacht haben, wurde das Thema über Monitor und Tagesthemen plötzlich in die Medien gehoben. Was unsere Filme über die Wasserproblematik anbelangt, hat außer der taz, dem Hamburger Abendblatt und der Süddeutschen Zeitung niemand darüber berichtet. Erst als Veolia gegen "Water Makes Money" einen Prozeß führte, entstand mehr mediale Aufmerksamkeit, aber ansonsten wurde das Thema Privatisierung und Rekommunalisierung von Wasser häufig schlicht vermieden. Das betraf nicht nur unseren Film, sondern eine ganze Reihe von Referenden wie zum Beispiel in Berlin, wo die Offenlegung der Verträge gefordert wurde. Obwohl unsere Filme sehr erfolgreich waren, haben sich die Medien meist nicht eingeklinkt, was aber auch klar ist, denn wir machen die Filme ja kontramedial.

SB: Und wie war die Resonanz seitens der gesellschaftlichen Öffentlichkeit?

LF: Allein in Deutschland gab es 730 Veranstaltungen seit der Premiere von "Wer rettet wen?" im letzten Jahr. Trotzdem treffe ich auf Veranstaltungen immer wieder Leute, die von uns oder dem Film noch nie etwas gehört haben. Zur Premiere des Films gab es einige sehr schöne Berichte in verschiedenen Programmen und Zeitungen, aber danach hat es trotz der zahlreichen Vorführungen des Films kaum noch Reaktionen gegeben. Wir erzählen eben in unserem Film Dinge, die in den Medien ganz anders dargestellt werden, das macht es so schwierig.

SB: Vor dem Hintergrund deiner langen Erfahrung im Bereich Dokumentarfilm einmal gefragt: Wie ist die heutige Situation von Dokumentarfilmern, die natürlich auf öffentlich-rechtliche Medien angewiesen sind?

LF: Es gab einmal eine Phase, wo es besser ging. Im Moment habe ich das Gefühl, daß es wieder richtig absackt und Medien und Fernsehen ziemlich gleichgeschaltet werden. Wenn man sich anschaut, wer in den Rundfunkräten sitzt, ist das nachlassende Interesse nicht verwunderlich. Daß "Die Anstalt" überhaupt noch existiert, finde ich grandios. Im Augenblick läuft eine Petition, das Kabarett nicht so spät auszustrahlen, sondern auf 20.15 Uhr vorzuverlegen. Die Petition sollte jeder unterschreiben, denn die Sendung ist eine Ausnahmeerscheinung.

Ich möchte gar nicht bestreiten, daß auch gute Filme gemacht werden, aber sie werden immer mehr in die Spätprogramme gedrückt. Unser Film "Wer rettet wen?" macht ja einen Bogen von den Ursachen bis zu den Auswirkungen in der Zukunft. Was sonst zu diesem Thema gezeigt wurde, betraf eher die Symptome der Krise. Aber niemand spricht darüber, wie Konzerne und Institutionen überhaupt eine solche Machtkonzentration erreicht haben. Das ist auch meine Kritik an die Adresse des Fernsehen. Man versucht, die Hintergründe einfach wegzulassen oder Filme, die dies nicht tun, in wenig frequentierte Tageszeiten oder Spartenprogramme auszulagern.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß alternative Formen des Filmemachens, aber auch der Aufführung von Filmen, wie es sie in den 60er und 70er Jahren in Ansätzen gab, vielleicht noch einmal zu einer Art Gegenbewegung führen?

LF: Ja unbedingt. So haben beispielsweise die Crowdfunding-Bewegungen über ihre Plattformen im Internet einen wahnsinnigen Schub gekriegt, daß Leute anfangen, unabhängig vom Fernsehen oder der Filmförderung Filme mit hohem Aufklärungsanspruch zu machen. Ich denke schon, daß es möglich ist. Ich möchte jedoch noch anfügen, daß uns Arte bei "Water Makes Money" total unterstützt und den Film extra am Abend vor dem Prozeß noch einmal gezeigt hat. Am Prozeßtag selbst gab es noch ein Interview. Aber bei "Wer rettet wen?" wollten sie nicht mitgehen, und "Der marktgerechte Mensch" hängt noch in der Schwebe.

Zu diesem neuen Projekt haben wir am 1. September einen Spendenaufruf [3] gemacht, und das Echo ist wirklich toll. Daß so viele Leute gespendet und auch geschrieben haben: Es ist phantastisch, daß ihr euch diesem superwichtigen Thema zuwendet, über das keiner sprechen will - hat uns in unserer Arbeit unheimlich bestärkt.

SB: Leslie, vielen Dank für das Gespräch.