Rundbrief Juli 2017 - Die Enteignung der deutschen Renter

Das österreichische Rentnertraumland

1.560 Euro erhalten durchschnittlich langjährig versicherte Österreicher die 2013 in Rente gegangen sind von der gesetzlichen Rentenversicherung. Und zwar 14 Mal im Jahr. Deutsche Rentner, die im selben Jahr mit ähnlichem Erwerbsmuster erstmals Rente erhielten, bekommen durchschnittlich nur 1050 Euro, und das nur 12 Mal im Jahr. Und in Zukunft wird der Unterschied noch krasser: Ein junger österreichischer „Durchschnittsverdiener“ wird voraussichtlich 78% seines Einkommens als Rente erhalten. Ein junger Deutscher kann  nur 37,5% seines Einkommens als Rente erwarten.

 Woher das gewaltige Gefälle zwischen den Nachbarn?

Sind die Österreicher – wie es das Niveau der gesetzlichen Rente vermuten lässt – plötzlich doppelt so reich geworden als Ihre deutschen Nachbarn? Keineswegs! Noch bis vor kurzem hinkte das österreichische Lohnniveau dem deutschen hinterher. Der Lebensstandard sowie  die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse beider Länder sind absolut vergleichbar. Woher kommt dann der gewaltige Unterschied bei den Renten?

 Noch bis zur Jahrtausendwende bewegte sich das Rentenniveau in beiden Ländern auf ähnlichem Niveau. Allerdings setzte hier und dort fast gleichzeitig eine Diskussion bzw. Propaganda darüber ein, dass die gesetzlichen Renten nicht mehr zu finanzieren seien. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wäre gefährdet, da die paritätisch von Unternehmen und Arbeitnehmern finanzierten Versicherungsbeiträge immer weiter wüchsen.

 Unternehmen entlasten, Versicherte an marktgerechte Eigenverantwortung heranführen

Anfang 2002 beschloss die rot-grüne Regierung in Deutschland die dauerhafte Reduzierung des Niveaus der gesetzlichen Renten. Sollte bis dato die Erhaltung des Lebensstandards der Rentner gewährleistet werden, muss die Höhe der Renten heute nur noch garantieren, dass die Versicherungsbeiträge für die Unternehmen erträglicher werden. Infolge dessen ist das Rentenniveau in Deutschland seither mit wenigen Ausnahmen jedes Jahr gefallen.

 So hat man den vorhergesagten Verfall der gesetzlichen Rentenversicherung vorsätzlich herbeigeführt. Der neue Star sollte eine marktgerechte Rente sein: Die sog. Riesterrente. Auf Basis des privaten Versicherungsmarktes sollte sie die Verluste der gesetzlichen Rente ausgleichen und diese perspektivisch ersetzen. Die Riesterrente hatte nicht nur den „Vorteil“, dass damit die großen Versichungskonzerne am riesigen Rentenmarkt teilhaben können. Sie sollte den Versicherten auch an die Haltung heranführen, er allein sei für seine Altersversorgung  verantwortlich. Mit der Riesterrente soll er nun zusätzlich  4% des Einkommens an die private Versicherung abführen – die Unternehmer beteiligen sich daran nicht. Stattdessen wird sie öffentlich gefördert – von unser aller Steuern.

 Als zweites Standbein der marktgerechten Rente sollten die Betriebsrenten ausgebaut werden. Auch hier derselbe „Vorteil“: Die Unternehmen müssen sich an Betriebsrenten nicht beteiligen. Sie sind meist nur eine Lohnumwandlung. Der Beschäftigte verzichtet auf einen Teil seines Lohns, der in Betriebsrenten umgewandelt wird.

 Nicht alle sind so dumm – Oder hatten sie nur Glück?

Die österreichische ÖVP/FPÖ-Regierung legte ein Jahr später als die Deutschen im Frühjahr 2003 einen Gesetzentwurf für eine „große Rentenreform“ vor – faktisch eine Kopie des deutschen Gesetzes. Das Siche­rungsniveau der öffentlichen Altersrente sollte massiv reduziert und die so entstehenden Lücken durch den Auf- und Ausbau privater und betrieblicher Altersversicherungen geschlossen werden. Doch die Österreicher hatten das Glück, dass dieser Anschlag von einer rechten Regierung verübt wurde. So fühlten sich die österreichischen Gewerkschaften frei, mit all ihrer Macht gegen diesen Gesetzentwurf vorzugehen. Und sie erreichten nicht nur, dass dieses Gesetz nie Wirklichkeit wurde. Letztlich führte das Ganze in Österreich sogar zu einer Konsolidierung und Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch Selbständige und Beamte sind in sie integriert.

 Das Märchen von der Wettbewerbsfähigkeit

Und hat das der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen geschadet? Nein, sogar im Gegenteil: Wirtschaftswachstum, Lohn-, Produktivitäts- und Beschäftigungszuwächse sind beim kleinen Nachbarn seither deutlich höher als in Deutschland. Den österreichischen Unternehmen hat die starke Rente nicht geschadet. Wer soll dann glauben, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Betriebe hätte gelitten ohne die rot-grüne Rentenreform in 2002? Mit dieser Begründung wurden ja die Renten in Deutschland massiv abgesenkt. Mit einer Lüge! Sie stinkt zum Himmel!

Wären damals nicht Gewerkschaften und Beschäftigte darauf hereingefallen, könnten die Renten heute in Deutschland in etwa so hoch sein wie beim südlichen Nachbarn. Doch so werden in Deutschland selbst Beschäftigte, die ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 23.000 € haben, nach 45 Versicherungsjahren im Rentenalter auf die Grundsicherung angewiesen sein, auf Sozialhilfe für Rentner.

 Die Enteignung der Rentner in Deutschland wurde für das Märchen einer marktgerechten Rente in Kauf genommen. Dies sollten wir nicht länger hinnehmen. Egal ob die Jungen, die künftigen Rentner, oder die Alten. Wir haben nur eine Chance, wenn wir unsere Interessen erkennen. „Der marktgerechte Mensch“ wird ein Werkzeug dazu sein.