Rundbrief November 2017 - Gesundheit ist keine Ware
Keine Zeit
Bei unseren Dreharbeiten in deutschen Klinken haben wir hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn alle Beschäftigten unter einem ungeheuren Druck stehen, die Kosten im Preisrahmen der Fallpauschalen zu halten und Patienten sich nur noch wie eine Ware vorkommen, die von einer Abteilung in die nächste geschoben werden. Für Zuhören und ein Gespräch bleibt in der Regel keine Zeit. Ein halber Satz und schon ist der Patient in der Röhre, das ist im System der Fallpauschalen das Optimum. Dies ignoriert völlig einen Kernsatz der Humanmedizin:
Das Arzt-Patient-Verhältnis steht im Mittelpunkt des Heilungsprozesses
Ein Beispiel dafür sind schon die Erfahrungen des US-amerikanischen Internisten Dr. Wulf in den 60er Jahren. Einer seiner Patienten hatte schwerste Asthma-Anfälle. Ein Medikament dagegen war noch im Forschungsstadium. Dennoch bat Dr. Wulf um ein Muster davon. Und tatsächlich waren damit die Symptome des Patienten wie weggeblasen. Um das Ergebnis zu überprüfen, gab er dem Patienten anschließend ein Placebo. Darauf folgten wieder Rückfälle. Aber mit dem Muster des neuen Medikaments war es sofort wieder gut. So schrieb Dr. Wulf dem Labor, die Wirksamkeit des Musters sei bewiesen. Das Labor antwortete aber, auch das Muster sei ein Placebo gewesen. Offensichtlich hatte also nicht das Medikament, sondern die Hoffnung Dr. Wulfs auf die Wirksamkeit den Patienten von den Asthma-Anfällen befreit. Umgekehrt hatte das Wissen des Arztes von der Nichtwirksamkeit des Placebos die erneuten Anfälle provoziert.
Wie kann vertrauensvolle Hoffnung heilende Wirkung haben
Auch bei Parkinson-Patienten weiß man schon länger, dass die vertrauensvolle Erwartung des Patienten auf Hilfe das Medikament ersetzen kann. Ein Forscherteam aus Vancouver fragte sich, wie diese Erwartung real biochemische Wirkung entfalten kann. Normalerweise hilft ein Medikament, das die gestörte körpereigene Dopamin-Produktion wieder anregt. Jetzt visualisierten die Forscher den Moment, wenn das Medikament durch ein Placebo ersetzt wird in einem bildgebenden Verfahren. So konnten sie beweisen, dass dabei die vertrauensvolle Erwartung die körpereigene Dopamin-Produktion real verstärkt.
Die Hoffnung und das Wissen um Hilfe aktivieren die Selbstheilungskräfte.
Dies alles sind keine seltenen Ausnahmen. Ein Beispiel ist auch die Organtransplantation. Dafür muss mit einer wochenlangen Chemotherapie die Immunabwehr des Patienten reduziert werden. An der Uni-Klinik Essen wird die Chemotherapie wegen der Nebenwirkungen durch ein Placebo ersetzt. Die Immunabwehr sinkt dann genauso wie bei der Chemotherapie. Immer dasselbe: Wer glaubwürdig das Gefühl hat, es wird geholfen, dem wachsen Selbstheilungskräfte. Auch wenn Medikamente und Operationen in der Regel unumgänglich sind, hängt die Heilung wesentlich davon ab, welches Verständnis Ärzte und Pfleger aufbringen. Wie Gespräche geführt werden, in welcher Umgebung sie stattfinden. Wenn der Patient spürt, dass sie schon ganz andere Fälle erlebt haben. Wenn Ärzte und Pfleger souverän bleiben und nicht gleichgültig werden, kann der Patient Vertrauen und Hoffnung entwickeln.
Gesundheit ist keine Ware
Doch in den deutschen Krankenhäusern, wo zunehmend nur noch um Profite geht und Beschäftigte soweit ausgedünnt werden, dass der Ausnahmezustand Alltag ist, sind menschenwürdige Verhältnisse für Patienten eine Illusion und bleiben auf Ausnahmen beschränkt, wenn Pflegerinnen, Therapeuten und Ärzte sich selbst ausbeuten. Schauen wir nicht länger zu, wie Krankenhäuser für Patienten und Beschäftigte zum Gefahrengebiet werden. Denn: Eine andere, eine humane Medizin in Krankenhäusern ist möglich!